Aufgabe

Was, Du machst Hospizarbeit? Das könnte ich nicht!

So oder so ähnlich höre ich es oft von Freunden und Bekannten, wenn ich von meiner „Nebentätigkeit“ berichte. Wie viele meiner Mitstreiter/innen bin ich über eigene Erfahrungen mit dem Tod zu dieser Tätigkeit gekommen. Der plötzliche Tod meiner Schwester, mein Sohn, der die Schwangerschaft nicht überlebt hat, meine eigene Grenzerfahrung mit Krankheit – all das reißt Stücke aus einem heraus, sensibilisiert aber auch für das Thema Tod, das zum Leben gehört, das einen ständig begleitet, egal, wohin wir auch schauen. Trauer ist eine Schwester der Liebe. Eigene Trauer zu spüren befähigt uns mit zu fühlen, sich hinein zu versetzen in Geschichten von Menschen, die dem Tod ins Auge schauen, als selber Betroffene oder Angehörige. Ich betrachte heute jeden, der sich diesem Thema offen stellt als Verwandten, als Bruder oder Schwester, als willkommenen und lebenskompetenten Mitmenschen.

Was ist Hospizarbeit ?

Wer Hospizarbeit machen möchte, besucht einen sogenannten Befähigungskurs, der das Thema Tod und Sterbebegleitung aus vielen Perspektiven heraus beleuchtet. Während der Konfrontation mit dieser Thematik über ca. 1 Jahr erhält der Interessierte genügend Raum zur Selbstreflexion, ob dieser Dienst eine Perspektive sein kann. Heute, nach ca. 4 Jahren Praxiserfahrung, ist Hospizarbeit für mich eine tief empfundene, sehr sinngebende und vertrauensvolle Aufgabe. Als ich selber ausgebildet wurde, hatte ich oft Bedenken, ob ich eine derart intensive, mit schrecklichen Klischees besetzte Situation überhaupt aushalte. Ertrage ich es zu sehen, dass ein Mensch körperlich abbaut, zerfällt, stirbt. In der Praxis durfte ich erleben, dass Hinschauen und Aushalten angesichts der Wichtigkeit des Prozesses und des allgegenwärtigen Respekts vor der Natur des Betroffenen fast schon selbstverständlich sind. Der von außen in eine Familienstruktur gerufene Begleiter schafft Raum für Nähe und einen Abschied in Würde und Respekt, er verbindet Menschen, lässt Emotionalität zu und fängt auf, was zu eskalieren droht. Sterbebegleitung ist eine Haltung geprägt von der Verantwortung für den Sterbenden und seine Angehörigen.

Haltung bei der Hospizarbeit

Der Sterbebegleiter ist kein Oberlehrer, keiner, der Antworten auf alle Fragen hat, keiner, der sich aufdrängt. Erst einmal wendet sich der Hilfe suchende Sterbende oder Angehörige an die örtliche Hospizeinrichtung – stationär oder ambulant. Es findet ein Erstgespräch statt, das quasi die Ist-Aufnahme der aktuellen Lebenssituation des/der Betroffenen darstellt. Erwartungen und Möglichkeiten der Betreuung werden dabei ausgetauscht und intensiv diskutiert. Danach finden sich Betreuer und Hilfesuchende(r) über die Vermittlung durch den zuständigen Koordinator der Hospizeinrichtung. Nach einer meist sehr kurzen Kennenlernphase ist man schon mittendrin in den Geschichten einer Familie, wichtigen Lebensereignissen, schönen und traurigen Momenten, belastenden Schicksalsschlägen. Wenn es noch geht, verbringt man aber auch Zeit in der Natur bei Gesprächen, man philosophiert, liest vor, singt zusammen, redet über Leidenschaften, was man alles gerne gemacht hat, was man noch erleben und erledigen möchte. Der Begleiter ist Gefährte, hört zu, ist da, guckt hin, hält fest, berührt, ist nah, ist Mitmensch. Der Sterbende oder Angehörige führt dabei in der Regel die Regie.

Neben der seelsorgerischen Betreuung spielen aber auch ganz pragmatische Dinge eine Rolle. Sicherung der pflegerischen und palliativen Versorgung durch ständige Beobachtung des Prozessstatus, Verständigung der Ärzte bei akuter Verschlechterung und nach Eintritt des Todes. Beratung der Angehörigen bezüglich anstehender Behördengänge oder auch bezüglich Fragen der Bestattung. Dies geschieht nicht hektisch, sondern immer intuitiv, in Ruhe und Sicherheit, was auch zur Haltung des Begleiters gehören muss.

Mein persönliches Fazit zur Hospizarbeit

Heute weiß ich, dass ich der richtige Mensch für diese Aufgabe bin. Ich erhalte ein Vielfaches von dem zurück, was ich einsetze. Klingt vielleicht merkwürdig, aber Hospizarbeit bedeutet für mich persönliches Glück. Nicht, dass mir das Schicksal meiner mir anvertrauten "Fälle" nicht nahe geht, im Gegenteil, aber zur Begleitung gehört auch, mit der eigenen Emotionalität umgehen zu können. Die eigene Verarbeitung erfolgt woanders mit mir selbst oder in Form von Supervision. Hospizarbeit bereichert mein Leben und relativiert Alltagsprobleme, sei es in der Familie oder bei der Arbeit. Es eröffnet neue Horizonte und Perspektiven, macht sensibel für bewusstes und intensives Leben und die Sorgen und Nöte der Mitmenschen, egal, ob in direkter Nähe oder weit entfernt. Hospizarbeit trainiert unser Mitfühlen. Sicher nichts für jeden, aber wer das Bedürfnis spürt, sich mit Hospizarbeit zu befassen, sollte diesem Ruf folgen.

Norbert Breker